Abgesagt
Ort
Bad Schallerbach
Location
Atrium, Europasaal
Beginn
19:30
Preis
EUR 24,00

Ein Wiederhören mit den Roma-Superstars aus St. Petersburg, die jahrelang u.a. mit André Heller und Yehudi Menuhin auftraten.

Besetzung

Sergey Erdenko — Violine
Artur Gorbenko — Violine
Michael Savichev — Gitarre

„Teufelsgeiger“: Das russische Starensemble fusioniert Gypsy, Flamenco, Klassik und Jazz!

Was haben so unterschiedliche Musiker wie der altehrwürdige Geigen-Zar Yehudi Menuhin und Rolling Stones Gitarrist Ronnie Wood und der österreichische Meister-Illusionist André Heller gemein? Sie alle haben schon einmal mit „Loyko“ zusammengearbeitet. Das russische Gypsy-Starensemble, das in seiner gegenwärtigen Aufstellung als Trio sein Publikum mit zwei Violinen, einer Gitarre und großartigem Gesang begeistert. Die Gruppe rund um ihren Mastermind, Geiger Sergey Erdenko, gründet auf der russischen Tradition der Roma-Musik und deckt ein weites emotionales Spektrum ab: von sehnsüchtiger Melancholie und Sentimentalität bis hin zu feurigstem Virtuosentum. Die drei stilistisch breit ausgebildeten Musiker erkunden den großen Schatz der Zigeunermusik und beleuchten ihn immer wieder neu, indem sie Elemente aus Flamenco, Klassik und Jazz integrieren und sich von den unterschiedlichsten Spielarten der Weltmusik inspirieren lassen. Perfekt inszeniert und arrangiert, glaubt man zuweilen ein gesamtes Orchester vor sich zu haben.Von dieser einzigartigen Mélange geht ein Zauber aus, dem viele namhafte Künstler und Musiker-Kollegen erliegen – vom stets begeisterten Publikum ganz zu schweigen.

Sergey Erdenko wurde 1958 in Chabarowsk, im östlichen Sibirien geboren. Mit fünf Jahren erhielt er seinen ersten Geigenunterricht beim Großvater, der Dekan an der dortigen Musikhochschule war. Mit neun Jahren zog er an die Wolga: in Samara besuchte er sowohl die Musikschule als auch das College. Er begann, sich für das Theater zu begeistern, und zusammen mit seiner Zwillingsschwester gründete er eine erste Musikgruppe. Nach seinem Abschluss spielte er für ein Jahr im Symphonieorchester von Samara. Dann ging er nach Moskau, um an der Theaterakademie zu studieren, wo er auch Mitglied des Zigeunertheaters „Romen“ wurde. Nachdem Sergey Erdenko die Theaterakademie abgeschlossen hatte, spielte er als Musiker und Schauspieler bei Mark Razovsky’s Schauspiel Company.1990 gründete er Loyko, ursprünglich als Duett mit lgor Staroselzev.

Artur Gorbenko, Jahrgang 1972, stammt aus St. Petersburg, damals Leningrad. Er macht Musik, seit er sechs Jahre alt ist. Nachdem er das St. Petersburger Staatskonservatorium abgeschlossen hatte, arbeitete Artur Gorbenko sehr erfolgreich als Komponist von Theater- und Filmmusik. Als Geiger, Bratschist und Pianist war er Mitglied in mehreren, international erfolgreichen Folk- und Jazzprojekten. Außer klassischer und Jazzmusik widmet er sich auch der improvisierten Gypsy-Musik. Seit Anfang 2011 ist er Mitglied des Trio Loyko.

Michael Savichev wurde im März 1971 geboren. Nach dem Schulabschluss studierte er klassische Gitarre am Konservatorium von Novosibirsk bei Prof. Kuzin. Gleichzeitig gründete er eine Fusion-Jazzband mit dem Namen,,UC“ (,,Süden“) und experimentierte mit unterschiedlichen Musikstilen. lm Jahr 2000 traf er auf die spanische Gypsy-Flamencoband von Thomas de Madrid, die auf ihrer Tournee auch nach Sibirien kam. Die spanischen Musiker hörten seine Musik und luden ihn in ihre Heimat ein. ln Sevilla und Cordoba studierte Michael den Flamenco in seiner originalen Form. Er spielte mit den besten Gypsy-Musikern Spaniens und schuf eine eigene Mischung aus den Zigeunertraditionen Russlands und Spaniens. Die Einladung von Sergey Erdenko zum Trio Loyko wurde für den Ausnahmegitarristen zum Ausgangspunkt für neue Entdeckungen.

1956. Mit dem Erlass „Über die Einbeziehung von vagabundierenden Zigeunern i n Arbeitsverhältnisse“ wurden auch die letzten der in Russland bzw. der damaligen Sowjetunion noch  nomadisierenden Roma gezwungen, sesshaft zu werden. Bereits unter Stalin sind viele Roma im Zuge von großen  Umsiedlungsaktionen nach Sibirien verbannt worden. Wie an vielen anderen Orten Europas und der ganzen Welt, ist ihr Ruf nicht besonders. Ihnen wird mit Misstrauen und Abneigung begegnet, die Angehörigen einer der vielen Roma-Stämme sehen sich seit langem hartnäckigen Vorurteilen ausgesetzt. Viele nahmen hier auch russische Namen an.5o fielen sie nicht weiter auf und waren für die meisten Russen ihresgleichen. Überhaupt sind entgegen allen Klischees die meisten Roma sesshaft. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt, die Schätzungen schwanken zwischen 2 und 12 Millionen weltweit, in Russland sind es etwa 250 000.

1934, Paris. Auf Anregung von Pierre Nourry und Charles Delaunay vom Hot Club de France wurde das berühmte Quintette de Hot Club gegründet. Neben dem Geiger Stephane Crappelli ist der Star ein Sinti, der zur Legende werden sollte: Django Reinhardt. Das Besondere an diesem Quintett ist die Besetzung: Außer Geige und Gitarre sind zwei weitere Gitarren als Rhythmusinstrumente und ein Kontrabass mit dabei, also ausschließlich Saiteninstrumente, und auf ein Schlagzeug wird komplett verzichtet. Dieser Sound wurde ein Sensationserfolg. Das „Quintett“ gilt als erste eigenständige künstlerische Äußerung der Europäer in der Welt des Jazz, die auch in dessen Heimatland, den U.S.A., wahrgenommen wurde und sogar Chart-Erfolge verbuchen konnte. Django Reinhardt stieg in den nächsten Jahren zum führenden Jazzkünstler der europäischen Szene auf, sein Improvisationstalent und sein persönlicher Stil und Flair stellte hier alles Bekannte in den Schatten. Der Geniestreich lag neben der Besetzung in der Vermischung von drei unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen: Reinhardt verband den gängigen New-Orleans Jazz mit den  französischen „valses musettes“ und der traditionellen Romamusik. Bis heute versteht man unter dieser Musik den ,,Sinti-Jazz“.

Die Popularität gerade von Musik und Musikern der Sinti und Roma – Django Reinhardt ist hier nur  in Beispiel, neueren Datums ist etwa der große Erfolg der Gypsy Kings * steht in einem krassen Gegensatz zu den großen Vorbehalten, die diesem Volk nach wie vor entgegengebracht werden. Dabei sind sie seit mittlerweile über 700 Jahren in Europa beheimatet. Während die in West- und Mitteleuropa, aber auch im nördlichen Italien lebenden Teile der Bevölkerungsgruppe Sinti genannt werden, sind die Roma jene im östlichen und südöstlichen Europa. Dabei gilt dieser Name außerhalb des deutschen Sprachraumes auch als Gesamtbezeichnung. Die „,Zigeuner“, so der alte, von einiger verklärter Zigeuner-Romantik abgesehen, negativ beladene und von den Sinti und Roma nie selbst verwendete und abgelehnte Name, werden potentiell als kriminell und zwielichtig, als unzuverlässig, wenig vertrauensvoll l, verlottert und in moralischer Hinsicht lose Gesellen angesehen, als triebhaft Herumwandernde, die sich nirgendwo fest binden und anpassen wollen. Roma und Sinti sehen sich deswegen seit Jahrhunderten Verfolgungen, Hetze und geselllschaftlicher Achtung ausgesetzt.

Ursprünglich kommt das Volk der Roma und Sinti wohl aus Indien. Sprachuntersuchungen legen diesen Schluss nahe – auch wenn sich diese als schwierig darstellen. lmmer wieder nahmen die Roma Elemente ihrer jeweiligen Heimatkultur (gerne auch Mehrheitskultur genannt, im Gegensatz zur Minderheit der Roma) in ihre eigene auf. Das zeigt sich auch in ihrer Sprache Romans, von der sich viele regionale Ausprägungen gebildet haben. Mit der Musik verhält es sich ähnlich: Was gemeinhin für ,,Zigeunermusik“ gehalten wird, ist oft stark von der Musik der jeweiligen Heimatländer geprägt. Für die Mehrheitsbevölkerung spielen die Roma auf, und weil sie damit ihren Lebensunterhalt verdienen, sind sie darauf angewiesen, sich den Musikstilen und Unterhaltungsbedürfnissen anzupassen. Ei n gutes Beispiel dafür ist die ungarische Volksmusik, die seit dem 19. Jahrhundert weithin als „Zigeunermusik“ galt. Und wenn auch die Ansicht „Musik liegt den Zigeunern eben im Blut“ genauso ins Reich der Mythen gehört wie so vieles – die große Affinität der Roma zur Musik ist unbestritten. In der schwierigen Situation, unter gesellschaftlicher Missachtung an seriöse Arbeit zu kommen, war dies eine doch recht angesehene Möglichkeit, für sein Auskommen zu sorgen. Daher wird auf die Musikalisierung von frühesten Kindesbeinen an großen Wert gelegt. Sergey Erdenko sagt das so: „Wenn ein Kind bei uns aufwächst, dann geben wir ihm nicht nur zu Essen, wir füttern es auch mit Musik.“

Der Weg von Sergey Erdenko ist exemplarisch. Seine Familie, ein über 300 Jahre alter Roma-Stamm mit starker musikalischer Tradition, wurde von Stalin in das südöstliche Sibirien umgesiedelt. Hier wuchs Sergey auf, bevor die Familie nach Samara und schließlich nach Moskau zog. Als sich der Eiserne Vorhang hob, konnte man reisen: die Welt stand offen. Trotz enger Verbindung zur Geige – mit sieben kam er auf ein Musikinternat, zog es ihn zunächst zum Theater. Doch bald empfand er die Festlegung auf Rezitationen als zu eng. Mit der Violine jedoch konnte er ausdrücken, was Worte nicht vermochten. Es verschlug ihn nach London, wo er in einem Club spielte. Hier erlebte er zum ersten Mal, wie gebannt das Publikum seinem Spiel lauschte. Die Menschen, die zum Essen und Trinken und geselligem Beieinander gekommen waren, vergaßen auf einmal alles um sich herum, das Essen wurde kalt, während die Musik glühte. Dann kam das Publikum nur noch wegen der Musik, die Aufführung war nun die Hauptsache. Die Stars von Pink Floyd hörten zu, Duran Duran und die Rolling Stones. Hier beschloss Sergey Erdenko, sich fortan ganz seiner Idee zu widmen, die er als „musikalisches Theater“ bezeichnet. Das Wichtigste an seiner Musik sind ihm die Kontraste, er möchte sein Publikum lachen machen und weinen – und zwar beides zur gleichen Zeit. Die Gruppe Loyko war in der ersten Version ei n musikalisches Laboratorium, benannt nach dem legendären Roma-Geiger Loyko Zobar.

Aus dem Clubact wurde eine begehrte Tourband. Von London aus unternahmen sie auch Konzertreisen nach Irland. Schließlich blieb Sergey Erdenko mit seinem Bruder dort -für zehn Jahre. Beide fühlten eine große Gemeinsamkeit zwischen den lren und ihrem Volk, denn in Irland waren die Leute offener und kommunikativer und es gab eine sehr starke musikalische Tradition. Für die lren war der Gypsy-Sound von Loyko völlig neu und sie saugten ihn förmlich in sich auf. Die russischen Musiker übernahmen ihrerseits einige keltische Motive und fügten so ihrer Roma-Musik – einmal mehr – eine neue Klangfarbe hinzu. Der Ruf von Loyko verbreitete sich schließlich in ganz Europa und Amerika. Sie wurden zu den größten Festivals eingeladen und erhielten Einladungen von so prominenten Kollegen wie dem indischen Sitar-Star Ravi Shankat den Meister-Gei gern Yehudi Menuhin und Gidon Kremer, dem Rolling Stones-Gitarristen Ronnie Wood, dem österreichischen Meister-Illusionisten André Heller und Django Reinhardts altem Weggefährten Stephane Grapelli. Aber schließlich zog es Sergey Erdenko zurück in die Heimat. Er lebt heute in Sankt Petersburg, eine Stadt die traditionell für die Anbindung Russlands an Europa steht. Auch wenn sich die Musik von Loyko im Laufe der Zeit wandelte und eine starke Eigendynamik entwickelte, Grundlage ist stets die eigene Tradition geblieben, die russische Roma-Musik. Die Sinti und Roma haben immer noch einen langen Weg vor sich, wenn es um eine vollwertige gesellschaftliche Anerkennung geht. Aber gerade in den jüngeren Generationen werden die Vorurteile und Vorbehalte beständig weniger. Einen wichtigen Beitrag leistet dazu die Musik, denn zumindest in der Welt der Musik sind die Sinti und Roma heutzutage ein fester und geachteter Bestandteil.